Bürgermedien stark machen - Demokratie in Europa stärken
Redebeitrag Lothar Bisky zur Anhörung "Recht auf Kommunikation im digitalen Netz" - Kommunale Radios, kulturelle Vierlfalt und gesellschaftliche Teilhabe beim Übergang ins digitale Zeitalter (09.05.2012.)
Die EU möchte Bürgermedien stärken. Sie will, dass Community Media gefördert werden. Speziell das Europaparlament haben Community Media jedenfalls an ihrer Seite. Ich denke, von dieser Prämisse kann man ausgehen. Natürlich haben die EU-Institutionen ein gewisses Eigeninteresse: Den Dialog mit den Bürgern über Europa nämlich. Dazu bräuchten wir auch Community Media auf europäischer Ebene. Bisher gibt es viel zu wenig Medien, die zur Schaffung einer europäischen Öffentlichkeit beitragen. Ich erlaube mir, am heutigen Europatag (9. Mai) gleich zu Beginn einen Feiertagswunsch zu formulieren: Jedes lokale Community-Media-Angebot bietet irgendwann in der Zukunft ein „europäisches Fenster“. Europa hat - leider - nicht nur nicht die Zustimmung, sondern nicht einmal die Aufmerksamkeit und das Interesse, das nötig wäre, um von einem hinreichenden Maß an Demokratie, Partizipation und Transparenz sprechen zu können.
Rundfunk soll frei sein, Er hat aber auch den Auftrag, einen Beitrag zur öffentlichenMeinungs- und Willensbildung leisten. Und er hat in seiner Freiheit, so sagt es auch das deutsche Verfassungsgericht, der Demokratie zu „dienen“. Um es anschaulicher zu sagen: Alternative Medienangebote sind in der BRD entstanden, als sich gesellschaftliche Bewegungen in den etablierten Medien nicht (mehr) wiederfanden. In der DDR entstanden sie zu deren Ende, als freier, unabhängiger Journalismus möglich wurde. Aus diesen Möglichkeiten ergibt sich in meinem Verständnis durchaus auch eine Verantwortung.
Neben Politikern und Medienmachern, Rundfunk- und Fernsehanstalten und Medienunternehmen, können vor allem die kleinen Einrichtungen vor Ort wie zum Beispiel Bibliotheken, Volkshochschulen, Bürger-, Kultur- und Medienzentren, Fort- und Weiterbildungsstätten und eben die Bürgermedien aktiv Medienkompetenz befördern. Auch dies notwendig zur Wahrnehmung demokratischer Rechte.
Weiterhin tragen Bürgermedien ein gutes Stück dazu bei, Medienkonzentrationsprozessen zumindest alternative Angebote an die Seite zu stellen, indem sie die Vielzahl und die Vielfalt der Medienanbieter erhöhen. Auf diese Art und Weise können sie zu mehr Medienpluralismus beitragen und der ist immerhin erklärtes Ziel der EU. Es gibt gar seit Oktober 2011, einberufen von der Vize-Präsidentin der EU-Kommission, Neelie Kroes, eine Hochrangige Gruppe, die über Freiheit und Pluralismus der Medien in der EU diskutiert.
Schließlich sollen Bürgermedien nicht-kommerziell sowie unabhängig von staatlicher und lokaler Macht sein, so dass sie eben nicht zwangsläufig um Einschaltquoten und um Werbeeinnahmen konkurrieren müssen. Gesetzt, dass sie qualitativ hochwertige Inhalte bieten, können sie als Alternative zum Programmschema der kommerziellen Sender einen herausragenderen Platz in der europäischen Medienlandschaft einnehmen. Sie sollen sich hauptsächlich Aktivitäten widmen, die für die Allgemeinheit und die Bürgergesellschaft von Interesse sind, klar definierte Ziele verfolgen, die immer auf einen sozialen Zugewinn ausgerichtet sind, und zum Dialog zwischen den Kulturen beitragen. Vor dem Hintergrund des Rückzugs oder der Nichtexistenz von öffentlichen und kommerziellen Medien in bestimmten – vor allem abgelegenen – Gebieten sowie der Tendenz der kommerziellen Medien, immer weniger lokale Inhalte anzubieten, sind Bürgermedien manchmal die einzige Quelle für lokale Nachrichten und Informationen und die einzige Stimme lokaler Gemeinden.
Um all diesen Erwartungen gerecht zu werden:
- der öffentlichen Meinungs- und Willensbildung vor Ort und somit der Demokratie zu dienen
- soziale Inklusion zu fördern
- Pluralismus und interkulturellen Dialog zu unterstützen
- Medienkompetenz zu vermitteln
um diese Funktionen zu erfüllen, gibt es noch viel zu wenig Community Media.
Wenn man diese der Demokratie dienenden Funktionen ernst nimmt, dann sollte jede Gemeinde auch mindestens ein Community-Media-Angebot haben.
All diese und andere Aspekte haben in zahlreichen Papieren der EU, auch unseres Parlaments, in den vergangenen Jahren durchaus ihre Würdigung gefunden. Und selbstverständlich wissen wir, dass dafür finanzielle Unterstützung notwenig ist. Das EP hat auch ganz konkret die Mitgliedstaaten aufgefordert, „die Bürgermedien als eigenständige Gruppe neben den kommerziellen und öffentlichen Medien rechtlich“ anzuerkennen. Doch es ist ja bekanntlich so, das Rundfunkgesetzgebung vor allem Gegensand nationaler und regionaler Gesetzgebung ist.
Sind "wir" auf der EU-Ebene also fein raus? Können wir freundliche Willensbekundungen abgeben, im Übrigen aber auf die Nationalstaaten und Regionen mit dem Finger zeigen, wenn Bürgermedien nicht die Anerkennung und Unterstützung erhalten, die notwendig wäre? Können wir aus verschiedenen Gründen nicht. Ich will nur wenige Anregungen dazu geben:
Zunächst der Hinweis auf die EU-Gesetzgebung über staatliche Beihilfen. Zwar gibt es für öffentlich-rechtlichen Rundfunk dabei Ausnahmen, ich weiß aber nicht, ob Bürgermedien bzw. die öffentliche Förderung von Bürgermedien mit der Ausgestaltung dieser Regeln zufrieden sind. Ein weiterer Punkt: Immer mehr Menschen nutzen immer mehr Angebote im Internet. So steigt der Beitrag des Internets zur Meinungs- und Willensbildung, was wir natürlich alle begrüßen. Mit der Digitalisierung stellen sich jedoch zunehmend Fragen wie die nach Netzkapazitäten, der Finanzierung der Umstellung auf digitale Produktion und digitales Senden. Meines Erachtens können solche technischen Fragen nur mithilfe europaweiter Koordination und Kooperation geklärt werden. Drittens gibt es hier natürlich den sozialen Anspruch, dass qualitativ hochwertige Angebote - gerade auch grenzüberschreitend - leicht zugänglich und erschwinglich sein sollten. Besonders für die Linken ist dieser Anspruch Kernforderung an politisches Handeln - und leider oft notwendige Kernkritik an konkreter Politik.
Die angesprochenen Anforderungen und Fragestellungen sind sicher nicht erschöpfend, doch - so hoffe ich, eine Anregung für die folgende Diskussion. Die soll natürlich auch unsere Arbeit im Europäischen Parlament inspirieren.Vielen Dank.