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an mich erinnern
Redebeitrag von Lothar Bisky in der "Brussels Conference on Combating Antisemitism" am 21. Juni 2012

 

Antisemitismus und Bildung hängen auf sehr komplexe Weise zusammen. Bis hinein in die feinen Verästelungen kann ich diesem Zusammenhang hier nicht folgen. Auf jeden Fall aber kann man feststellen, dass eine solide Bildungsgrundlage keinen Humus für antisemitische Einstellungen bildet. Mit wachsender Bildung korrespondieren keinesfalls antisemitische Attitüden. Natürlich wird durch die normale Schulbildung ein Grundstock gegen antisemitische Vorurteile gelegt, und im Allgemeinen ist die vermittelte Schulbildung schon ein Damm gegen Vorurteile. Dennoch ist Wachsamkeit geboten, dennoch treten immer wieder Vorurteile auf, auch antisemitische.

In den Nischen des Alltagsbewusstseins hat sich manches Vorurteil versteckt, und wer aufmerksam die alltägliche Umgangssprache analysiert stößt auf manche Überraschung. Antisemitismus bleibt in Deutschland eine Gefahr eben weil er "unterbewusst" existiert bzw. ko-existiert. Die scheinbar nebensächliche Alltagssprache, das nicht bewusst Reflektierte der Sprachverwendung dokumentieren die Spuren rassistischer Sprachverwendung, die scheinbar ganz harmlos daherkommt. Die hässliche Fratze des Antisemitismus scheint in der Alltagssprache durch. Solides Wissen ist notwendig, um den Tücken des scheinbar harmlosen Sprachgebrauchs zu entgehen.  

Ich will in diesem Zusammenhang ausdrücklich an eine Persönlichkeit erinnern, die ein aufrechtes Leben gelebt hat - im Jahrhundert der Extreme, wie Eric Hobsbawm das zwanzigste Jahrhundert genannt hat. Ich erinnere an den deutschen Dichter Stefan Heym. Aufgrund seiner jüdischen Herkunft musste er Chemnitz, seine sächsische Geburtsstadt, verlassen und emigrierte in die USA. Er kehrte 1945 mit der US-Armee nach Deutschland zurück. Er engagierte sich im Osten Deutschlands, der damaligen DDR, beim Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg. Er publizierte erfolgreich Romane, Erzählungen, Gedichte. Als selbständig denkender Sozialist geriet er mit der Obrigkeit in der DDR in Konflikte. In seinem Roman "Sieben Tage im Juni" setzte er dem Arbeiteraufstand in der DDR im Jahr 1953 ein literarisches Denkmal. Stefan Heym kandidierte nach der Wende auf der Liste der PDS für den deutschen Bundestag, den er nach der erfolgten Wahl 1994 als Alterspräsident eröffnete mit einem Plädoyer für eine Stärkung der politischen Toleranz. Dort stand er als Alterspräsident des Deutschen Bundestages aufrecht mit seiner Gesinnung und musste erleben, dass nicht wenige Abgeordnete ihm, dem aufrechten Linken aus Chemnitz, dem Sohn einer Familie mit jüdischen Wurzeln, den Respekt verweigerten, weil er, der aufrechte Sozialist, für eine sozialistische Partei kandidiert hatte.  

Ich will mit diesem kurzen Beitrag zur Diskussion an eine Persönlichkeit erinnern, die für ein aufrechtes, ungebrochenes Leben steht. Und ich erwähne in seinem Sinne an nicht wenige andere, die wie er unter dem Antisemitismus gelitten, ihn aber auch tapfer bekämpft haben.

Ich fühle mich in der Pflicht, ihre Lebensgeschichten zu erzählen, dass sie nicht vergessen werden. Denn ich bin davon überzeugt, dass wir diese Geschichten über Kämpfer gegen den Antifaschismus genau so brauchen wie die Tatsachen und historischen Fakten. Die europäische Kultur ist reich an guten antifaschistischen Filmen, Bildern, Musik und Liedern, Romanen und Gedichten, Theaterstücken und Skulpturen.

Nutzen wir diesen kulturellen Reichtum!